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Zum 1. April 2021

 

 

 

 

Ein unkonventioneller Text zum 1. April 2021
von Roman, Sophie und Annette Nehberg

 

„Mehr Projekte als Restlebenszeit“,

das war sein Spruch, das hat ihn angetrieben. Heute vor einem Jahr verstarb Deutschlands Abenteurer Nr. 1 und Kämpfer im Zeichen der Menschenrechte Rüdiger Nehberg. Damit seine Projekte für ein Ende der Weiblichen Genitalverstümmelung sowie für den Schutz indigener Völker und des Urwaldes auch nach seinem Tod weiter bestehen, hatte er vorgesorgt: Durch die Gründung seines Vereins TARGET e. V. Rüdiger Nehberg. Wir - Frau Annette, Tochter Sophie und Sohn Roman - führen die Arbeit für Menschenrechte fort. Ein Familien-„Unternehmen“ der anderen Art.

Rüdiger Nehberg lebte den Titel seines letzten Buches „Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen“: unkonventionell, direkt, erfolgreich. Für sein Lebenswerk wurde er zahlreich ausgezeichnet: Mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, dem Hamburger Bürgerpreis, der Urania-Medaille, der Blauen Zunge - um nur einige Ehrungen zu nennen – ja, sogar für den Friedensnobelpreis wurde er vorgeschlagen. Die schönste Auszeichnung für ihn aber war das Lächeln der Mädchen, die er vor der genitalen Verstümmelung bewahren konnte, oder der Schulterschlag von Häuptlingen, die ihn zum „Ober-Häuptling“ ernannten.

Heute vor einem Jahr gaben wir bekannt: Rüdiger Nehberg ist tot. Es war eine knappe Nachricht, schwarz auf weiß, ohne Beiwerk, ohne Fotos. „Wir waren unendlich traurig. Wir waren wie gelähmt. Es gab nichts, womit wir die Wucht und Brutalität der Aussage hätten abmildern können oder wollen“, erinnert sich Sophie. Sie betreut die sozialen Medien des Vereins. „Der schwerste Beitrag, den man sich denken kann.“ Tausende Male wurde er geteilt, kommentiert. Im Amazonas-Regenwald hielten die Waiãpi Trauerrituale ab. Die Medien titelten: 'Abschied von einer Legende', 'Der letzte Abenteurer', 'Eine Ära endet'. Unglaublich viele Menschen teilten ihre Geschichten und persönlichen Erinnerungen. Unser Rüdiger – so lasen wir immer wieder. So sehr hatte der Ex-Vorstadtbäcker aus Rausdorf das Leben Vieler tief geprägt. „Die große Anteilnahme, die uns als Familie auf den verschiedensten Kanälen erreichte, war wie eine herzlich feste Umarmung. Es war in diesen Coronazeiten eine Art virtuelle Trauerfeier,“ erinnert sich Annette. Roman ergänzt: „Dass Rüdiger so vielen Menschen wichtig war, etwas in ihrem Leben bewegt hat, das war uns in dem Ausmaß nicht bewusst. Manche wanderten survival-mäßig von weit her zu Fuß in Erinnerung an ihn nach Rausdorf.“ Er hatte eine Lagerfeuerstelle am Eingang des Grundstückes errichtet. Zugänglich für Jeden. Genau dort, wo auch ein Steintisch und eine Bank zum Ausruhen stehen. „Willkommen“ hatte Rüdiger darauf geschrieben. Damit man sich einfach mal ausruhen kann, wenn man vorbei kommt. Auch heute brennt dort ein Feuer.

Geboren 1935 war Rüdiger Nehberg schon als Vierjähriger zum ersten Mal von Zuhause ausgebüchst. Die Polizei fand ihn anderntags quietschvergnügt unter einem Busch. Er erlebte den Zweiten Weltkrieg als Kind, kam in Gefangenschaft, startete eine Ausbildung als Bäcker, später Konditor, und verdiente sich mit Rattenfangen Geld dazu. Dieser Junge würde einmal dafür sorgen, dass 50.000 illegale Goldsucher aus dem indigenen Yanomami-Gebiet in Brasilien vertrieben würden. Er würde der 5.000-Jahre alten grausamen Tradition der Weibliche Genitalverstümmelung den Kampf ansagen. Er würde höchste Islamgelehrte für ein Umdenken gewinnen. Dieser Junge radelte mit 17 Jahren von Bielefeld nach Marokko, durchquerte später - inzwischen selbständiger Bäcker und Konditor - die heißeste Wüste der Welt zu Fuß, führte eine Kamelkarawane an, überquerte den Atlantik auf selbstkonstruierten Gefährten gleich drei Mal und ließ sich mitten über dem Urwald aus einem Helikopter abseilen mit nur einer Badehose am Leib. Ein absoluter Grenzgänger. Ein mutiger Mann, der sich seine Träume erfüllte. Mit spektakulären Abenteueraktionen machte er auf die Bedrohung indigener Völker und den Amazonasregenwald aufmerksam und setzte sich mit dem Islam als Partner für Mädchen und Frauen zur Beendigung der Genitalverstümmelung ein. Eine bahnbrechende Idee. „Irgendwie bin ich ein Glückspilz. (…) Weil ich so viel erlebt habe, dass es für drei Leben reichen würde“, schrieb Rüdiger auf seiner Homepage. Mehr als 30 Bücher verfasste er über seine abenteuerlichen Unternehmungen, sein Survival-Wissen und seinen Einsatz für Menschenrechte. 

Erneut erschwert die Corona-Krise die Möglichkeiten, diesem großen Mann zu gedenken. Lockdown am 1.4.2020, Lockdown am 1.4.2021. Corona lässt traditionelles Abschied-Nehmen nicht zu. Also - tun wir es einfach nicht! Nehmen wir keinen Abschied - weil Rüdiger bleibt. In seinem weltumfassenden Wirken, seinen Projekten, seinen Büchern, und im Herzen Vieler. Er bleibt in unserem privaten Alltag, aber besonders im Wirken mit seinem TARGET-Verein, den wir gemeinsam als Vorstand leiten. So leben Rüdigers Visionen weiter. Und auch Survival bleibt ein Thema. Roman: „Wir wurden von Rüdiger ausgebildet. Ein 20-jähriges Dauer-Survival-Camp mit Sir Vival persönlich. Der Rüdiger-Lifestyle wird nie vorbei sein: Let‘s fetz! Heute beginnt der Rest unseres Lebens“. Ja, bei uns - bei den Nehbergs - ist die Rüdiger-typische Tatkraft am Sprudeln.

Dennoch:

Rüdiger, Du fehlst.

 

 

Rüdiger Nehberg